miromente 25

miromente 25  -  September 2011

 

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LESEPROBE:

Der Steward hätte die Tür nicht öffnen dürfen

von Daniela Egger

 

Grenzen
Ich stehe daneben, als ein Grenzbeamter in der Kurta die Biografie von Sheik Ahmed Zaki Yamani aus dem Koffer meines Kollegen fischt. Der Mann brüllt auf, als hätte ihn ein Skorpion gestochen und hält das Buch in die Höhe. Dem aufgeregten Wortgefecht ist nicht zu entnehmen was das Problem ist. Mein Kollege wird zusehends nervöser, als sich der Chef der Grenzbeamten mit schnellen Schritten seinem Koffer nähert. Er nimmt das Buch angewidert in zwei Finger und schaut meinen Kollegen prüfend an. Dann untersucht er den Kofferinhalt.

Der andere Beamte brüllt auf ihn ein: Book forbidden! Yamani no good! You no enter Saudi Arabia.

Wir beginnen zu schwitzen. Mit dem Gesetz in Saudi Arabien in Konflikt zu geraten ist gefährlich. Der Kapitän muss sich der Sache annehmen, denn er ist für seine Crew verantwortlich. Leider kennen wir den Herrn nur zu gut, seine diplomatischen Künste sind bescheiden.

Er baut sich vor den Beamten auf und verlangt mit lauter Stimme eine Erklärung. Dazwischen murmelt er leise Sätze wie: Die Rauschebärte habe ich schon gefressen... Angespannte Blicke werden gewechselt, der Chef der Zollwache versucht seine Emotionen zu zügeln und wiederholt: This book is forbidden.

Der unglückliche Besitzer des Buches will längst eine Lösung anbieten und das Buch in den Mülleimer befördern, aber der Grenzbeamte hält es unerbittlich in die Höhe. Der Kapitän faucht: Das Buch geht mit! Das wäre ja noch schöner!

Der Kollege jammert: Ich will es gar nicht mehr! Sie sollen es haben! You take it! Throwitaway!

Der Kapitän erklärt in ausgewählten Worten, weshalb sich dieses Buch auf internationalem Boden befindet und im Gepäck bleibt. Seinem Englisch kann keiner der Beamten folgen. Das tut er immer, wenn er genervt ist. Er verfällt in literarisches Oxford-Englisch, um zu beweisen wie gebildet er ist und um den Gegner zu demütigen.

Es ist jedenfalls nicht die geeignete Strategie, um die Situation zu beenden. Die Augen des Angesprochenen formen sich zu schmalen Sehschlitzen. Er zeigt auf den Koffer des Kapitäns und sagt nur ein Wort: Open!

Unter deutschen Flüchen wird der Koffer entleert, das Rasierwasser als Alkohol deklariert und ausgeschüttet, das alkoholhaltige Deodorant im Mülleimer entsorgt.

Einer der Zollbeamten, die sich bislang im Hintergrund gehalten haben, ergreift irgendwann die Initiative: Er reißt das Buch aus den Händen des Beamten, der es noch immer in die Höhe hält. Und er befördert es schwungvoll in einen Mülleimer. Mein Kollege atmet erleichtert auf. Der Kapitän holt gerade Luft, um zu widersprechen. Der Co-Pilot fährt dazwischen und sagt: Schluss jetzt, wir fahren.

Ich frage mich die ganze Zeit, ob die Mitglieder der Familie Yamani ganz ohne Kontrolle einreisen. Der Sheikh steht unter diplomatischer Immunität und verlässt das Flughafengelände mit dem Auto, das direkt vor der Flugzeugtreppe wartet. Die Frustration der Zollbeamten entlädt sich regelmäßig über uns. Sie mögen ihn wirklich nicht, den Reformer und Freund des Westens.

 

 

Bibel
Dass niemand von uns eine Bibel mitführt liegt eher an einem fundamentalen Desinteresse an christlicher Lektüre. Man vergisst absurde Dinge auch einfach wieder – so wie die Information, dass der Besitz einer Bibel in Saudi Arabien mit dem Tode bestraft werden kann.

 

 

Petrus
Nach jeder Landung kommt einer der Grenzbeamten an Bord, um die alkoholischen Getränke zu überprüfen. Wir haben extra für Saudi Arabien Plomben an Bord, mit denen wir alle nicht geöffneten Flaschen in einer versiegelten Truhe verbergen können, so dass nichts davon offen zugänglich ist. In Saudi Arabien müssen geöffnete Flaschen, die Alkohol enthalten, vernichtet werden. Da wir oft, nachdem die Passagiere das Flugzeug verlassen haben, in Ruhe gemeinsam essen – die Speisen an Bord sind definitiv immer besser als das, was wir in den Hotels und Restaurants später bekommen würden – werden die geöffneten Weinflaschen meistens doch noch getrunken. Das ist aber nicht immer möglich, vor allem nicht, wenn wir nach einem Nachtflug in der grellen Morgensonne Saudi Arabiens landen.

Das Flugzeug selbst wird ebenfalls verschlossen und niemand hätte es inzwischen betreten können. Alkohol zu verplomben ist also eine unsinnige Übung, die wir mit stoischer Gelassenheit und zuverlässig ausführen.

Und dann kommt einer der ganz jungen Zollbeamten an Bord – einer der sich noch profilieren muss und seine Aufgabe sehr wichtig nimmt. Alles ist vorschriftsmäßig verschlossen und versiegelt. Er rüttelt an den Stahlringen und zerrt an den
Holztüren. Meine Kollegin weicht nicht von seiner Seite. Er schickt sie, um ein vollkommen unwichtiges Papier zu holen, sie dreht ihm ganz kurz den Rücken zu – und schon hat er mit einem kleinen Triumphschrei die Türe geöffnet und zeigt auf die Reihe erlesener Weinflaschen im Regal. Die Plombe ist zerbrochen – ich bin sicher, dass eben erst in seinem langen weißen Hemd eine kleine Zange verschwunden ist. Sein Schrei lockt seinen Vorgesetzten aus dem Cockpit und gemeinsam verlangen sie jetzt die Zerstörung des Alkohols. Wir sollen die Flaschen entkorken und in den Abfluss gießen. Es handelt sich um Flaschen mit Namen wie Château Mouton-Rothschild. Ich bin keine Weinkennerin, aber ich weiß: Sie sind teuer. Ausgerechnet mit einer Petrus (ihr Wert liegt bei 2.000,- Schweizer Franken) fuchtelt der Mann aufgeregt herum und sucht in den Schubladen der Bar nach einem Korkenzieher. Ich drücke ihm zuerst einen billigeren Champagner in die Hand und gebe vor, den Korkenzieher zu suchen. Während er sich ungeschickt an dem Champagnerkorken zu schaffen macht, begutachtet der Kapitän den aufgebrochenen Stahlring. Dann nimmt er kurzerhand einen neuen Stahlring und verplombt die Türe erneut. Wein im Gesamtwert von etwa 20.000,- Franken ist gerettet. Die Flasche Petrus müssen wir verloren geben – ihr Inhalt geht unter hasserfüllten Blicken in den Abfluss der Bar.

Unser französischer Co-Pilot, ein Gourmet und Weinkenner, ist den Tränen nahe. Er überlegt laut, welche Fluglinie, die dieses verfluchte Land nicht anfliegt, ihn wohl kurzfristig übernehmen würde. Die beiden Grenzbeamten sind erbost über die wieder verplombte Türe, müssen aber abziehen, da sich jetzt zwei entschlossene Piloten vor dem Holzkästchen aufgebaut haben. Die Passkontrolle geht diesmal schweigend über die Bühne. Die Zöllner verzichten auf das Öffnen unserer Koffer.