miromente 32

Nach dem Sammelband miromente 1 bis 12 (2008) ist nun die Sonderedition miromente 13 bis 22 erschienen. Die Auflage beträgt 36 Stück, der Schuber enthält neben dem handgebundenen Buch eine Mappe mit signierten Originalgrafiken von Marbod Fritsch, Kurt Dornig und Carmen Pfanner.

Bestellungen unter: info@miromente.at

miromente 32  -  Juni 2013

 

MAYA RINDERER
Gedichte

MICHAEL MITTERMAYER (Grafik)
Alpenvereinsjahrbuch 1904 und 1916

CHRISTIAN FUTSCHER
Der Herr Pepi

NADINE KEGELE
In Scheunen

DANIELA EGGER
Ich ist eine Andere

CONSTANTIN GÖTTFERT
Vor der Baumschule

KURT BRACHARZ
Grell schreit Silenus' öhrig Tier

KURT BRACHARZ
Im Jahr der Hundes (1994)
Teil 2

WOLFGANG MÖRTH
Ein Weißsauer noch!

 

 

LESEPROBE:

Der Herr Pepi

von Christian Futscher

 

Praktisch ersetzt der Wein die Schulbildung!

Hauptsache, wir haben einen Steifen!

Die Geburt ist der Leichenwagen, nein, der Kinderwagen des Todes.

Das Leben ist körperlich. Ich bin draufgekommen, ohne Körper kein Leben. Ohne Körper geht gar nichts. Ohne Körper kann man auch nicht lesen. Ich habe so viele Bücher gelesen, zwei Jahre lang habe ich nur gelesen.

Ein Glas Wein trinken und man hat eine Herzensbildung – nein, zwei Gläser.

Vor 15 Jahren habe ich 50 kg mehr gehabt als heute, alles hat geschwabbelt. Ich verstehe die Dicken, ich verstehe jede dicke Frau und jeden dicken Mann. Ich habe noch die Aura eines Dicken.

Die Frauen haben schon etwas. Als ich dick war, habe ich auch einen Busen gehabt, aber der war nicht so schön wie der von einer Frau. Die Frauen riechen auch besser als die Männer. Ich habe mich lange nur mit Wasser gewaschen, dann habe ich Hirschseife verwendet…

Ich bin an einem Schaufenster vorbeigegangen, da habe ich mich von der Seite im Schaufenster gesehen, und dann bin ich zwei Jahre lang nicht mehr ausgegangen.

Ich habe einen gekannt, der hat niemandem gesagt, dass er Leukämie hat – der Poldi, er hat einen Würstelstand gehabt. Und dann hat er gemeint, Renovierung und so weiter, hat zugesperrt, und dann hat er auf einmal angerufen: „Hallo, Pepi, auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!“, und ich habe mich gefragt, was hat er denn? Und dann ist er gestorben. Aber er hat keinem was gesagt von seinem Krebs. An den Poldi erinnert sich heute niemand mehr, und den Würstelstand gibt’s auch nicht mehr. Ich bin oft nur zum Reden hingegangen, dort ist der Schmäh g’rennt. 

Die ganzen Bücher, die ich gelesen habe, die haben mir nichts genützt. Ich weiß jetzt, das Leben ist körperlich. Ohne Körper geht nichts. Und ich bewundere Männer, die nie was gelesen haben. Die kommen her und sagen: „Was willst du?“, und dann hauen sie dir einfach eine rein. Zack, so geht das. Die haben ihr ganzes Leben lang kein Buch gelesen. Ich habe zwei Jahre lang nur gelesen, und dann habe ich 50 kg weniger gehabt.

Der Wein schmeckt mir sehr gut. Die Christiane hat mir einen schönen Abend gewünscht. Ich habe gesagt, ich gehe nur eine dreiviertel Stunde weg, aber sie kennt mich besser. Dass ich sie getroffen habe, das war ein Glück. Ich habe mir eigentlich nichts mehr erwartet in der Hinsicht. Davor war ich schon auch manchmal mit einer Frau zusammen, und immer haben mich die Frauen verlassen. Ich habe nie ein Gefühl losgelassen. Ein Jahr nach der Trennung habe ich immer noch das Gefühl gehabt. Es ist dann erschlagen worden. Aber ich selbst habe nie ein Gefühl losgelassen.

Die Christiane habe ich auf der Straße gesehen, wir haben uns angeschaut, und dann haben wir uns zehn Tage später wieder getroffen. Ihre schönen blauen Augen, ihre grünen Augen! Sie hat mich von Anfang an ernst genommen. Das Leben ist einfacher zu zweit, es ist schöner zu zweit. Jahrelang habe ich nicht schlafen können, wenn jemand in der Wohnung war. Ich habe nicht schlafen können, wenn ich nicht allein in der Wohnung war. Jetzt ist es umgekehrt. Wir wohnen praktisch seit Jahren zusammen, aber ich habe meine Wohnung behalten. Eine Gemeindebauwohnung im Achtzehnten in einem Haus, wo auch meine Mutter wohnt. Sie ist jetzt über 80, und sie gießt meine Pflanzen. Ich will die Wohnung nicht aufgeben, auch wegen meiner Mutter.

Fotoapparate verkaufe ich, das ist mein Job. Ich berate die Kunden. Früher war ich Fotograf, jetzt verkaufe ich Fotoapparate. Das ist wie wenn einer ein Schwert kauft. Man kauft immer etwas für einen bestimmten Zweck. Ein Schwert oder eine Pistole, um wen umzubringen. So ist es mit den Fotoapparaten auch. Das Geschäft ist am Fleischmarkt. Viele kommen nur, um mit mir zu reden.  

Ich habe nie Erfolg bei den Frauen gehabt, sie haben meinen Körper nicht gemocht. Und als Dicker wirst du nur gehänselt… Ich habe mir überlegt, mich zu erschießen.

Aber ich wollte mich nicht binden, weil ich wollte immer nach New York. Ich habe mir gesagt, es muss immer so sein, dass ich aufstehen kann und gehen, ohne dass jemand traurig ist. Ich wollte nie jemanden traurig machen. Ich wollte nach New York, darum habe ich mich nicht gebunden, damit ich jederzeit aufstehen kann und gehen, ohne dass jemand traurig ist. Ich bin nie in New York gewesen. Ich bin hier geblieben und alt geworden, jetzt bin ich 56. Nach New York oder nach London wollte ich, aber ich war weder da noch dort. An der Nordsee war ich mit Christiane. Husum, Sylt und so weiter. Wir sind über die Dünen gegangen, dann haben wir einen Streit gehabt, und ich habe meine Kamera ins Meer geworfen. Die ist kaputt gewesen. Aber das war mir egal. Wir haben uns versöhnt.

In einem Lokal waren einmal monatelang alle freundlich zu mir, haben mich eingeladen, ich habe mich dort wohl gefühlt, die waren total nett zu mir, ein türkisches Lokal. Und dann bin ich draufgekommen, warum sie so nett zu mir waren. Sie haben geglaubt, ich sei ein Polizist! Das habe ich nicht auf mir sitzen lassen können. Und als ich sie aufgeklärt habe, dass ich ein ganz normaler Mensch bin, haben sie mich rausgeschmissen.

Das Wort „Tabu“ ist ja ein indianisches Wort und heißt „unverletzlich“. Ich bin nie tabu gewesen.

Der Obstler wird aus Kraut und Rüben gemacht, nein, ich vertrage keinen Schnaps mehr, mir schmeckt der Wein, der schmeckt mir immer. Aus Äpfeln, Birnen und Zwetschken wird der Obstler gemacht, der Obstbrand. Ich habe morgen auch einen Brand. Aber ich bin noch nie zu spät zur Arbeit gekommen, obwohl mir die Kunden schon manchmal auf die Nerven gehen. Was die mir alles erzählen! Manche kommen nur zum Reden. Ich mag sie schon, die Menschen. Die Menschen sind in Ordnung, ich mag die Menschen, auch wenn sie manchmal deppert sind, aber das gehört zum Menschsein dazu.

Ich sage immer meine Meinung, weil ich dazu stehe. Dafür bin ich oft gehänselt worden, auch geschlagen. Ich bin nicht gerade mit dem Tod bedroht worden, aber ich stehe immer zu dem, was ich sage. Und ich mag die Menschen, auch wenn sie mir eine reinhauen. Die Menschen tun mir Leid, ich habe Mitleid mit ihnen. Auch mit einem, der mir eine reinhaut. Mit so einem besonders. Einmal hat man mich so verprügelt, dass ich eine Woche lang im Spital war. Gehirnerschütterung, Nasenbruch, Rippenbrüche, Prellungen und so weiter.

Ich habe mich früher manchmal erschießen wollen, aber das ist vorbei gegangen. Ins Wasser gehen wollte ich nie. Ich habe meine Kamera ins Meer geworfen, aber wir haben uns versöhnt.

Der Wein schmeckt mir sehr gut. Praktisch ersetzt der Wein die Ausbildung. Aber ohne Körper geht nichts, das Leben ist körperlich. Hierher kommen nur schöne Menschen, also innen schön, da fühle ich mich wohl. Das ist selten, dass ich mich wo in Sicherheit fühle. Ich muss jetzt aber nach Hause, damit die Christiane nicht schon schläft, wenn ich komme. Ich rede manchmal zu viel, aber ich bin kein böser Mensch.

Der Wein bewirkt eine Herzensbildung, und ich sage immer, was ich mir denke.

Ich habe keine Angst vor niemandem. Und für die Christiane würde ich alles tun.

Und jetzt gehe ich.